Am 11. März habe ich darüber geschrieben, wie sich ein Abstieg anfühlt. Die bittere Realität nach dem gestrigen Tag ist allerdings noch viel schlimmer. Das Gefühl der absoluten Leere ist demoralisierend und niederschmetternd. Beim letzten Abstieg war ich 19 Jahre als. Damals gab’s kein Facebook, kein Twitter, kein Instagram und auch kein WhatsApp – genau über diese Kanäle wird man seit gestern 18:25 ständig daran erinnert, dass die SV Ried nach knapp 12 Jahren nicht mehr Bestandteil der tipico Bundesliga ist.
Ich wurde während der letzten 19 Stunden unzählige Male gefragt, wie es mir geht. Es geht mir scheiße. Wie Bill Shankly einst sagte: „Some people think football is a matter of life and death. I assure you, it’s much more serious than that“. Fußball und mein Verein sind viel mehr als nur ein Hobby, sie sind ein Teil meiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und somit meiner Persönlichkeit.

Eigentlich war gestern alles für das vielzitierte Wunder von Ried angerichtet. Ein ausverkauftes Haus, prächtiges Sommerwetter und sogar die spielerische Unterstützung von Rapid. Nur die eigene Mannschaft konnte dem Druck und den gesteckten Erwartungen in keiner Weise standhalten. Gerade in der ersten Halbzeit wirkte die Partie wie auf schiefer Ebene. Die Rieder agierten zögerlich und überhastet zugleich und hatten keine Ideen um die Mattersburger Defensive zu gefährden.
Mattersburg wiederum hatte nichts mehr zu verlieren und spielte eigentlich unösterreichisch motiviert voll auf Sieg. Weil im Frühjahr sowieso alles schief gegangen ist was schief gehen konnte, ermöglichte die frühe Verletzung von Florian Hart das Gegentor durch Perlak, der auf der zwischenzeitlich vakanten Seite viel zu viel Platz hatte. Das 0:2 muss man Thomas Gebauer anhängen, der in dieser Saison gerade im Herbst mit einigen Patzern nicht sein bestes Jahr hatte.
Nach dem 1:2 kehrte die Hoffnung wieder zurück, welche nach dem 1:3 durch Seidl bei manchen Individuen schlagartig in Aggression umgewandelt wurde. Persönliche Anmerkung: bei einem Spieler wie Stefan Maierhofer ist es nie geschickt, diesen während einer Partie auch noch mit Schmähgesängen heißer zu machen als er ohnehin schon ist. Die Spielunterbrechung durch die hirnverbrannten Bengalenwürfe nahm den letzten Wind aus dem Spiel der Rieder Mannschaft, nach der Wiederaufnahme ergab man sich dem eigenen Schicksal.
Nach Spielende trugen sich dann beschämende Szenen zu. Hooligans mit Sturmhauben (… bei denen aufgrund Körperbau und/oder Tattoos sowieso jeder aus der Fanszene und dem Vereinsumfeld weiß, wer sie sind) attackierten eigene Fans auf der West welche es wagten, der Mannschaft nach Spielende zu applaudieren. Vielen Frauen und Kindern konnte man die Angst in den Augen ansehen. Viele traten auch schlagartig die Flucht aus dem Zentrum der West an. Als Elternteil müsste ich nach dem gestrigen Tage stark überlegen, ob ich mein Kind nochmal auf die Fantribüne lassen würde.

Ich hoffe inständig, dass der Verein hier hart durchgreift und langfristige Stadionverbote erteilt. Der Ruf des Vereins wird durch diese Radaubrüder geschädigt, für die Spielunterbrechung und die mehrfachen Würfe von pyrotechnischem Gerät wird der Verein harte Strafen aufgebrummt bekommen. Ich hoffe ebenfalls stark, dass man sich hier an den Verantwortlichen schadlos halten kann. Einzelne Personen kommen und gehen und sind ersetzbar, aber der Verein bleibt bestehen. „No individual is bigger than the club“ ist hier ein weiteres Zitat, welches ich an dieser Stelle einwerfe.
Um einen Bogen zurück zum sportlichen Aspekt zu spannen: der Abstieg an sich ist hochverdient. Man hat die meisten Niederlagen am Konto, war die längste Zeit Tabellenschlusslicht, hat die wenigsten Tore erzielt, die wenigsten Auswärtspunkte geholt und in entscheidenden Momenten (0-1 in St. Pölten, 1-2 in Mattersburg, 1-1 gegen Wolfsberg, 1-1 gegen St. Pölten, 2-3 gegen Mattersburg) IMMER versagt.
Die Schuld dafür kann man vielen Personen in die Schuhe schieben: Stefan Reiter für seine Kaderplanung ohne einen bundesligatauglichen Stürmer, Christian Benbennek für die konditionellen Versäumnisse und seinen passiv-langweiligen Spielstil, Roland Daxl für seine Imperatorgebärden in der Winterpause, Franz Schiemer für sein aktives Einwirken auf den/die Trainer (welche meinen Quellen nach definitiv und massiv stattgefunden hat), Lassaad Chabbi für einige taktische Fehlgriffe (u.a. Durakovic gegen den WAC, die Einwechslung von Brandner gegen St. Pölten) und schlussendlich der Mannschaft selber.
Wenn man nur einen (oder vereinzelte) Fehler macht, steigt man nicht ab. Dieser Abstieg ist das Produkt einer Verkettung grober Fehler, Nachlässigkeiten und persönlicher Eitelkeiten. Ried hat immer davon gelebt, dass man diese Nebengeräusche den Großclubs und Lokalrivalen überlassen hat. Daher sollte man die Zweitklassigkeit nun dazu nutzen, um eine selbstreinigende Wirkung zu erzielen. Der Kader kann überholt bzw. neu aufgebaut werden, einzelne Vorstandsmitglieder können sich selbst hinterfragen und einige erlebnisorientierte Menschen können ihren Drang zum Radau zukünftig außerhalb der Keine Sorgen Arena (oder wie auch immer dieser aktuell zynische Stadionname kommende Saison lauten mag) ausleben.
Fakt ist: kommende Saison ist man kein Bestandteil der österreichischen Fußballelite. Man muss sich auf den Spieltermin am Freitagabend umgewöhnen. Es gibt keine HD-Spiele oder Einzellivespiele (abgesehen von der wöchentlichen 20:30-Partie) mehr. Man wird die besten Spieler verlieren (wie etwa Möschl an Dynamo Dresden). Die Zuschauerzahlen im Stadion werden wieder nach unten gehen. Es wird finanzielle Einbußen geben – egal ob im Bezug auf Fernsehgelder, Sponsorengelder oder Eintrittsgelder. Der LASK (mitsamt ehemaliger Rieder Vereinslegenden im Trainerstab) ist zum ersten Mal seit 1994 (!) eine Spielklasse über der SV Ried angesiedelt. Auch das wurmt (auch wenn es nicht jeder zugeben wird).
2003 ist das lähmende Gefühl der Ohnmacht erst vergangen, als die neue Saison mit einem 2:1 gegen den FC Lustenau eröffnet wurde. Heuer wird es wohl ebenso lange dauern, bis wieder eine gewisse Normalität einkehrt. Wenn ich mir unsere künftigen Gegner ansehe, dann sind die Auswärtsspiele in Kapfenberg, Hartberg und Wiener Neustadt für mich als Grazer äußerst anreisefreundlich gelegen. Wenn man beim FAC antreten muss, ist man wohl zum ersten Mal überhaupt Favorit bei einem Auswärtsspiel in Wien. Mit BW Linz bekommt man ein Derby in der Landeshauptstadt. Bei den Matches gegen Wacker und Wattens kann ich meine Schwester in Tirol besuchen. Und auch nach Grödig kann man nach einjähriger Pause wieder fahren um gegen die Wettbewerbsverzerrer aus Liefering zu spielen.
Abgesehen davon werde ich mir selbstverständlich auch wieder eine Abokarte sichern. Nächste Saison steigen dank der Ligaaufstockung zwei oder gar drei Vereine in die Bundesliga auf. Es gibt zwar aktuell noch keine Quoten, aber im Normalfall sollten Wacker Innsbruck und die SVR die beiden Topfavoriten auf den Aufstieg sein. Und wenn es wirklich so kommen sollte, dann kann ich in naher Zukunft nach Monaten von Depression und Abstiegsangst auch endlich einmal wieder über positive Dinge schreiben. In der Zwischenzeit trifft man hoffentlich die richtigen Schlüsse und auch wenn man es derzeit noch nicht so recht begreifen kann, beende ich meinen finalen Blogeintrag in dieser Saison mit einem letzten Zitat:
Ein Gedanke zu „Zweitklassig“