Ich gehe direkt in medias res. So berechenbar und langweilig wie heuer war die Oscarverleihung – ausgerechnet an ihrem 90. Jubiläum – wohl überhaupt noch nie. Warum dies so ist – mehr dazu später.
Auf alle Fälle habe ich in meinem Tipp vom 8. Jänner bereits 14 von 20 Kategorien richtig getippt (Documentary, Documentary Short, Animated Short und Live Action Short habe ich damals ausgelassen). Im Abgleich mit meinem Spreadsheet vom gestrigen Abend wären sogar 19 von 20 Kategorien richtig gewesen. Lediglich die Special Effects haben mir einen Strich durch die Rechnung gemacht, dafür hätte ich auch Documentary & Documentary Short richtig gehabt).
Deswegen war es nachwirkend betrachtet auch die absolut richtige Entscheidung, die Oscars heuer zum zweiten Mal in Folge nur „as live“ anzusehen. Also per Aufnahme der ORF-Übertragung um 07:00 in der Früh, ohne Schlafdefizit, ohne Spoiler und mit der Fähigkeit, die gefühlten 72 Werbeblöcke [bzw. am ORF Zwischenanalysen] per Knopfdruck überspringen zu können. Bis auf weiteres werde ich daher wohl auch bei dieser Art des Academy-Award-Watchings bleiben.
Die Gewinner (sagen wir mal so)
Wer waren die großen Gewinner und Verlierer des Abends? Nun, durch die extrem breite Verteilung der Statuetten gibt es heuer eigentlich mehr Verlierer als Gewinner. The Shape Of Water ist mit vier Oscars, darunter in den Hauptkategorien Bester Film und Beste Regie (Guillermo del Toro) unter die Gewinner zu zählen, obwohl die Gesamtquote mit 4 aus 13 eigentlich ziemlich schlecht ist. Darkest Hour ist mit zwei von sechs Oscars (Gary Oldman als Bester Hauptdarsteller sowie für das Beste Makeup) ebenfalls einer der Gewinner.

Coco, der neueste Film von Pixar/Disney, ist mit einer 100%igen Quote – zwei von zwei – ebenfalls ein klarer Gewinner. Vermutlich sogar der größte Gewinner des Abends (¡Viva México!). Neben dem erwarteten Sieg in der Kategorie Bester Animationsfilm konnte die Taschentuchfraktion von Pixar auch in der Kategorie Bester Song die höher eingeschätzte Konkurrenz von The Greatest Showman besiegen. Blade Runner 2049 darf sich durch den Oscar für Roger Deakins (endlich, nach 13 Nominierungen ohne Sieg) als Bester Kameramann und den Sieg in der Kategorie Special Effects (gegen das leicht höher eingestufte War For The Planet Of The Apes) ebenfalls noch unter die Gewinner zählen.
Dunkirk ging als haushoher Favorit in die Awards Saison, strauchelte jedoch zunehmend und wurde nach und nach von Three Billboards sowie The Shape Of Water aus den Hauptkategorien verdrängt. Nach dem Ausgang der Globes, SAG Awards und BAFTAs war schon klar, dass sich das Kriegsepos von Christopher Nolan mit technischen Awards zufrieden geben wird müssen. Und mit den Triumphen in Sound Editing, Sound Mixing und Editing passierte dann im Endeffekt genau dies. Hoyte van Hoytema hätte, wie schon in meinem Artikel aus dem Jänner angemerkt, in jedem anderen Jahr mit 99%iger Sicherheit den Oscar für die Beste Kamera nach Hause getragen, scheiterte jedoch heuer (zurecht) an Deakins. Im Endeffekt sind die drei Oscars (die nummerisch zweitbeste Ausbeute des Abends) aber das Maximum welches herausgeholt werden konnte.
Die Verlierer
Three Billboards Outside Ebbing, Missouri startete mit einem hauchdünnen Vorsprung in die Zielgerade, musste jedoch am Ende in einem Fotofinish den Vortritt an The Shape Of Water geben. Diese Entscheidung war kurioserweise die spannendste der gesamten Zeremonie. Vor allem, weil es in den letzten Jahren fast ständig einen Split zwischen Best Director und Best Picture gab. Zwei Darstelleroscars (für Frances McDormand als Beste Hauptdarstellerin und Sam Rockwell als Bester Nebendarsteller) sind zwar nie zu verachten, im Endeffekt jedoch eine Enttäuschung für das in Alabama (und amüsanterweise nicht in Missouri) gedrehte Drama. The Phantom Thread (mit Daniel Day Lewis in seinem angeblich letzten Film) ging etwas überraschend mit sechs Nominierungen in den Abend, konnte am Ende aber (erwartungsgemäß) nur den Oscar für das Beste Kostümdesign mit nach Hause nehmen.
Nun zu den Indie-Filmen bzw. Newcomern. Lady Bird ist wohl der große Verlierer des Abends. Als einziger Mitfavorit konnte das Coming-of-Age-Drama von Greta Gerwig keinen einzigen Oscar gewinnen. Laurie Metcalf startete bei der Besten Nebendarstellerin aus der Pole Position, wurde jedoch nach und nach von Allison Janney (als harte bzw. bösartige Mutter von Tonya Harding in I, Tonya) überrundet und konnte gestern auch nicht mit einem Gewinn rechnen.
Nicht viel besser erging es Call Me By Your Name – das jedoch mit dem Oscar für das Adaptierte Drehbuch des 89-jährigen James Ivory zumindest einen Trostpreis gewinnen konnte. Ivory ist nun auch der älteste Oscargewinner aller Zeiten. Christopher Plummer (88) war für All The Money In The World bereits der älteste Schauspieler, der jemals für einen Oscar nominiert wurde. Ähnliches wie für Call Me By Your Name gilt auch für Get Out – hier konnte Jordan Peele den Academy Award für das Beste Originaldrehbuch für sich entscheiden, ging jedoch für den Besten Film und die Beste Regie leer aus. Bemerkenswert allerdings, dass es vor ihm nur drei andere Personen gab, welche in einem Jahr für diese drei Preise nominiert waren.
Mudbound, Star Wars: The Last Jedi, Baby Driver, The Beauty And The Beast, The Post und Victoria & Abdul gingen jeweils (fast durchgehend erwartungsgemäß) leer aus. Vor allem für das Journalismusdrama von Steven Spielberg ist dies nach nur zwei Nominierungen der nächste Schlag ins Gesicht, da das Gesamtrezept aus Spielberg + Streep + Hanks + Journalismus + US-Geschichte eigentlich für einen großangelegten Oscar-Push gesprochen hatte. Wenn man der öffentlichen Meinung jedoch Glauben schenkt, fehlt des dem Film ganz einfach an Substanz.
Die Langeweile
Die Awards-Season selber wird immer mehr zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Durch das Zusammenspiel an Vorpreisen (Globes, SAGs, BAFTAs etc.), Buchmacherquoten und Awards-Seiten (wie z.B. goldderby.com) werden Überraschungen nicht nur immer unwahrscheinlicher. Ich vertrete sogar mittlerweile die These, dass viele Mitglieder der Academy auch nicht annähernd alle Filme anschauen (müssen sie auch nicht), sondern teilweise auf Basis des allgemeinen Tenors entscheiden. Denn man wird [als Mitglied der Academy] im Gegensatz zu früher nicht nur nach seiner Meinung gefragt, sondern auch vielerorts konkret darauf angesprochen, was man von großen Favoriten hält und wie die historischen Chancen für bestimmte Konstellationen sind.
Nicht nur der Mangel an Überraschungen sondern auch der Mangel an bemerkenswerten Momenten oder Reden macht für mich die Summe aus meinem persönlichen Hashtag #OscarsSoBoring aus. Klar wurden diverse Bewegungen wie #MeToo oder #TimesUp in den Fokus gestellt, Harvey Weinstein kritisiert und die Diversity von Hollywood (im Bezug auf Hautfarbe, Geschlecht und sexueller Neigung) bei jeder Gelegenheit ins Licht gerückt. Aber wirklich neue Erkenntnisse wurden auch nicht gewonnen. Keine Brandreden gegen Trump, keine geheimen Offenbarungen und auch keine Fauxpas (looking at you, Warren & Faye) rundeten den Abend der Langeweile (bzw. für mich den Morgen der Langeweile) perfekt ab.
Der Ausblick
Wird das Oscarrennen kommendes Jahr spannender werden? Man weiß es nicht. Langweiliger wird es allerdings kaum werden können. Black Panther ist auf alle Fälle der erste ernstzunehmende Kandidat für 2019. Abgesehen davon wird First Man von Oscar-Gewinner Damien Chazelle mit Ryan Gosling als Neil Armstrong und Claire Foy als starker Kandidat gehandelt. Neue Filme von den ehemaligen Best-Picture-Siegern Steve McQueen (12 Years A Slave) sowie Barry Jenkins (Moonlight) sind logische Eintragungen auf der Watchlist. Auch ein neuer Film von Altmeister Scorsese namens The Irishman (mit dem alten Traumduo DeNiro & Pacino) wird in die Kinos kommen.

Aus österreichischer Sicht wird Radegund von Terrance Malick (The Thin Red Line, The Tree Of Life) höchstinteressant werden, welches die Geschichte von Franz Jagerstätter erzählt und mit Matthias Schoenaerts, Bruno Ganz, Michael Nyqvist, August Diehl, Tobias Moretti und Karl Markovics auch hochkarätig besetzt ist. Abgerundet wird der Notizzettel von neuen Filmen von Alfonso Cuaron (Gravity), Adam McKay (The Big Short) sowie Steven Spielberg.
Nach diesem kurzen Ausblick in das Filmjahr 2018 gilt für uns selbsternannten Oscarologen nun wieder folgendes Motto: Die Awards Season ist tot, lang lebe die Awards Season.